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Keine Sorge – oder doch?

  • Writer: Nadine Meier
    Nadine Meier
  • Jan 20
  • 5 min read

Mit Kindern Hausaufgaben machen, neue Gummistiefel besorgen, das Geschenk für den Kindergeburtstag organisieren, Wochenendaktivitäten planen: All das fällt unter die sogenannte Care-Arbeit, Kümmerarbeit oder Fürsorgearbeit. Obwohl sie den grössten Wirtschaftsfaktor ausmacht, wird sie nach wie vor als selbstverständlich vorausgesetzt und findet kaum Beachtung.


Immer mehr Menschen entscheiden sich dagegen, Kinder zu haben. Japan führte kürzlich gar eine vier-Tage-Woche ein, um die Geburtenrate wieder anzukurbeln. Doch der Rückgang verwundert nicht. Die mentale Last für das Gesamtmanagement, welches zur Familie dazugehört, im modernen Sprachgebrauch aktuell meist unter «Mental Load*» bekannt, führt – häufig noch in Kombination mit Berufstätigkeit – immer mehr zu Erschöpfungszuständen – besonders bei Frauen.


Das Frauen für diese Aufgaben zuständig sind, ist aber nicht nur traditionellen Umständen geschuldet, sondern viel grundlegender. Wie die Schweizer Soziologin Franziska Schutzbach in ihrem Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen» schreibt, baut unsere Wirtschaft auf der Ausbeutung und Abwertung genau solcher Arbeiten auf. Und damit sind wir bereits bei der Wurzel des Problems.


Die Erschöpfung der Frauen – Buch von Franziska Schutzbach

In ihrem empfehlenswerten Buch geht die Autorin der Frage nach, weshalb besonders Frauen so erschöpft sind. Der Care-Arbeit als eine der Ursachen der Erschöpfung widmet sie gleich zwei eigene Kapitel: «Emotionale Verausgabung im Beruf» sowie «Mental Load in Beziehungen und Familie». Sie führt in jenen Kapiteln nachvollziehbar und stringent aus, weshalb sich die Frauen unter anderem ständig an der Grenze der Erschöpfung bewegen («weil sie das Gefühl haben, anderen zur Verfügung stehen zu müssen»). Andererseits liefert sie aber auch prompte Antworten für dieses Gefühl («Das Patriarchat hat für sie die Aufgabe vorgesehen, Gemütlichkeit und Harmonie herzustellen und aufrechtzuerhalten»).


Weiter liefert die Geschlechterforscherin spannende theoretische Erklärungen für paradoxes Verhalten wie beispielsweise folgendes: Wenn ein Mann einen Job übernimmt, der normalerweise von einer Frau ausgeführt wird, bekommt er meist besonderen Beifall. Wenn dieselbe Arbeit von einer Frau übernommen wird, gilt sie als selbstverständlich («Paradoxie der Anerkennung»). Dennoch wird im Buch «der Mann» als solches nicht angegriffen. Viel mehr zeigt sie strukturelle tieferliegende Probleme unserer Gesellschaft auf, die eine gerechtere Mental Load Teilung erschweren bis verunmöglichen. So führt sie beispielsweise an, dass es für Männer nur wenig Teilzeitjobs gäbe, womit die Bedingungen für ein grösseres familiäres Engagement nicht gegeben seien.


Sorgearbeit als selbstverständliche Arbeit

Die Sorgearbeit ist der vierte und grösste Wirtschaftssektor der Schweiz. Trotzdem wird der Sorgearbeit der Status als Arbeit abgesprochen und als etwas betrachtet, dass Zuhause privatisiert geschieht. Doch ein Kind grossziehen, saubere Kleidung bereitstellen, es nähren und pflegen – all das geschieht nicht von selbst. Trotzdem wird sie nicht als Arbeit gesehen, sondern als selbstverständlich verfügbare Ressource, deren Quelle nie versiegt und an der man sich endlos bedienen kann.


Häufig nicht als Arbeit wahrgenommen

Dass die Sorgearbeit nicht als Arbeit per se wahrgenommen wird, hat mehrere Gründe. Einerseits wird sie häufig als etwas Automatisches angenommen. Andererseits wird es häufig so nebenbei neben vielen anderen Dingen erledigt, dass ihr nicht die verdiente Aufmerksamkeit zukommt. Diese Schwammigkeit hat System. Schutzbach bringt dies mit folgendem Satz auf den Punkt: «Wenn Fürsorge nicht als Arbeit, sondern als private «Arbeit aus Liebe» definiert ist, muss sie nicht oder kaum bezahlt werden».


Erfolgloser Kampf

Gegen die Selbstverständlichkeit von Care-Arbeit wehren sich besonders Frauen schon seit Jahren – ohne Erfolg. Franziska Schutzbach erklärt die Erfolglosigkeit damit, dass es wirtschaftlich nicht umsetzbar sei, die Sorgearbeit mitzufinanzieren. Die Wirtschaft wäre dann nicht im gleichen Masse profitabel. Ausserdem würde es sehr viel mehr Zeit kosten, wenn alle gleich viel Sorgearbeit leisten und Verantwortung übernehmen müssten. Diese Zeit, die mehr aufgewendet würde, fehle dann natürlich auf dem Arbeitsmarkt.


Forderung nach Lohn für Hausarbeit

In der Kampagne «Lohn für Hausarbeit» forderten die Initiantinnen bereits in den 1970er Jahren einen Lohn für Hausarbeit, weil die unbezahlte Hausarbeit der Frauen weder «natürlich» sei noch aus dem Mutterinstinkt heraus entstehe. Die unbezahlte Arbeit sei ein ökonomischer Faktor, der die kapitalistische Produktion überhaupt ermögliche – oder noch klarer: die Care-Arbeit sei die unsichtbare Grundlage der Wirtschaft. Bevor ein Mensch arbeiten und dem kapitalistischen System zur Verfügung stehen kann, müsse er nämlich zuerst geboren, gepflegt, geliebt, erzogen und versorgt werden.


Faktor Erschöpfung in der Sorgearbeit

Wenn Frauen und Menschen, die hauptsächlich Sorgearbeit leisten, weniger erschöpft sein sollen, muss die Sorgearbeit ins Zentrum der Gesellschaft und der Wirtschaft gestellt werden. Franziska Schutzbach schreibt in ihrem Buch weiter dazu: «Die Wirtschaft zerstört ihre eigenen Grundlagen, in dem sie sich nicht um die Bedürfnisse jener kümmert, die lebensnotwendige Sorgearbeit leisten». Sie argumentiert, dass die wirtschaftlichen Fragen sich weg von der Gewinnorientierung zu neuen Zielen zuwenden soll, wie zum Beispiel der Frage, was Menschen brauchen, damit es ihnen gut geht.


Ein fiktiver Arbeitgeber für mehr Sichtbarkeit der Sorgearbeit

Auch die Analystin und Mutter Franziska Büschelberger empfindet die Situation der Sorgearbeit als unbefriedigend. Letztes Jahr hat sie deshalb auf eine besondere Aktion zurückgegriffen und damit eine Welle in den sozialen Medien losgetreten. Auf der Networking-Plattform LinkedIn, auf der man üblicherweise seine beruflichen Erfolge, seine Ausbildungen und Abschlüsse auflistet, hat sie in ihrem Profil einen neuen, fiktiven Arbeitgeber eingefügt: Das Unternehmen «Unpaid Care Work» (auf Deutsch: unbezahlte Sorgearbeit).


So heisst das in ihrem eigenen Profil etwa so: «Alleinige Sorge für zwei Kinder, Arbeitserfahrung: 18 Jahre und 7 Monate, Titel: CEO – Chief Entertaining / Education Officer (in Anlehnung an den Titel Chief Executive Officer (CEO))». Das fiktive Unternehmen soll als Platzhalter dienen, jene Arbeit sichtbar zu machen, die bis anhin wohl in den wenigsten Lebensläufen auftaucht. Viel mehr noch – wird sie aktiv erwähnt, wird sie häufig sogar zum Ausschlusskriterium der erfolgreichen Jobsuche und vermindert drastisch Karrierechancen.


Den Nerv der Zeit getroffen

Die Idee kam so gut an, dass es Franziska Büschelberger Tausende gleichgetan haben und den fiktiven Arbeitgeber ebenfalls in ihr LinkedIn-Profil aufnahmen. Die Initiantin schrieb dazu weiter auf LinkedIn: «Wer möchte, dass seine Care-Arbeit anerkannt und wertgeschätzt wird, muss auch zu dieser Arbeit stehen und darf sie im beruflichen Umfeld nicht verschweigen! […] Ich möchte alle Mütter, Väter und Pflegende von Angehörigen ermutigen, in ihrem Lebenslauf anzugeben, dass sie einen unentgeltlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beitrag leisten! Steht dazu!» 

 

Sorgearbeit als gesellschaftliche Praxis

Solche Aktionen wie jene von Franziska Büschelberger geben Hoffnung und geben den Menschen Anstösse zum Umdenken. Doch sie sind bei weitem nicht ausreichend.  Es braucht ein grundsätzliches Umdenken, welches die Sorgearbeit ins Zentrum rückt, wie es Franziska Schutzbach als Abschluss in ihrem Kapitel vorschlägt: Das Ziel sei, Sorgearbeit als gesellschaftliche Praxis und Aufgabe zu verstehen und nicht als etwas, das sich innerhalb von Familien selbst erledige. Arbeit solle dazu dienen, die Bedürfnisse von Menschen zu erfüllen – und nicht umgekehrt. Und schlussendlich: «Es ist an der Zeit, dass wir Sorge und Beziehung ins Zentrum unserer Gesellschaft rücken und allen Menschen die Zeit und Ressourcen zur Verfügung stellen, die für gelingende Sorgebeziehungen notwendig sind».

 

 
 
 

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